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Frank

Yael Pick – Sophie Frank

Ein Besuch bei einer alten Heppenheimerin im Kibbutz HaMa’apil, Israel, im Januar 2018

Sofie Frank

Sophie Frank in ihrem Wohnzimmer

Es war ein kalter, sehr regnerischer Januartag, als ich mich von Jerusalem aus mit dem Auto auf den Weg machte, um in dem kleinen Kibbutz HaMa’apil in der Mittelmeerebene nördlich von Tel Aviv Yael Pick zu besuchen, die ursprünglich Sophie Frank hieß und aus Heppenheim stammt. Zwischen Regengüssen, überschwemmten Straßen und dann wieder Sonnenschein gelangte ich zum Kibbutzeingang und ließ mir telefonisch erklären, wie ich jetzt das Haus finden könne. Kurz darauf wurde ich schon von der Pflegerin von Yael Pick heran gewunken in eines dieser typischen, einstöckigen, nicht unterkellerten Kibbutzhäuser, wie ich sie seit jeher kenne.

In Empfang genommen wurde ich von einer äußerst aufgeweckten, lebensfrohen über neunzigjährigen Frau, die sich auf meinen Besuch schon vorbereitet hatte. Einige Tage zuvor hatte ich von Jerusalem aus bei Yael Pick angerufen, war sehr gespannt, ob sich die alte Dame überhaupt selbst melden werde und wie sie meine Bitte nach einem Besuch wohl aufnehmen werde. Schon am Telefon hatte sie mich mit aller Freundlichkeit, die ich nun auch bei Ihr erlebte, zu einem Besuch eingeladen, freute sich, dass jemand aus Heppenheim (wenn auch Heppenheimer nur bis vor einigen Jahren) sich für sie interessierte und gab mir sofort einen Termin.

Nun war ich also bei Yael Pick, die als Sophie Frank in Heppenheim bis zu ihrem 14. Lebensjahr im Hause des Arztes Fritz Frank und seiner Frau Raissa zusammen mit ihrem Bruder Hugo aufgewachsen war. Ich kannte dieses Haus, es liegt im Bereich der Christuskirchengemeinde, in der ich als Pfarrer tätig war und vor vielen Jahren einmal bei den damaligen Bewohnern, Konfirmandeneltern, zu Gast gewesen war. Ich wusste also, von welchem Haus wir sprachen.

Yael Pick war nach dem Krieg zweimal in Heppenheim gewesen und hatte wohl genau diese Familie kennen gelernt, „eine nette junge Frau, die mich fragte, warum ich das Haus so betrachte“, die sie dann ins Haus eingeladen hatte und ihr an einem Fenstersims eine Stelle zeigte, an der ihr Name eingeritzt waren, vielleicht hatte sie sich ja als Kind dort verewigt?

Auf meinen Besuch hatte sie sich regelrecht vorbereitet, nicht nur mit Kaffee und Gebäck, sondern auch mit Büchern ihres Vaters, in denen er über seinen Herkunftsort Horb am Neckar und über seine Erlebnisse im 1. Weltkrieg schrieb. Diese Bücher lagen bereit und zeigten an, wie sehr sie auch jetzt noch in ihrer Geschichte lebte, einer Geschichte von Verlust und Verfolgung. Nur der bewussten Wahrnehmung der Ereignisse im sog „3. Reich“ durch ihre Mutter war es zu verdanken, dass die Familie noch rechtzeitig aus dem nationalsozialisitischen Machtbereich fliehen konnte.

Überraschend präsent waren ihre Erinnerungen an Heppenheim. Ein wenig mit dem Schalk im Nacken meinte sie, eine Frau führe ja nicht gleich einen fremden Mann in das Schlafzimmer … aber sie müsse mir etwas zeigen. Und so bekam ich in ihrem Schlafzimmer eine kleine Gemäldegalerie zu sehen. Hier hingen Bilder, die ihr Onkel, der Bruder ihrer Mutter, gemalt hatte. Neben der Darstellung einer sehr schönen Frau, nämlich der Mutter von Yael Pick, waren es vor allem Bilder aus Heppenheim und Umgebung. Besonders schön war die Darstellung ihres Elternhauses, das noch heute an der Ecke Graf-von-Galen- und Karl-Marx-Straße zu sehen ist. Ein bisschen diskutierten wir, ob die lange Pappelreihe nun die Lorscher Straße oder doch die hessisch-badische Landesgrenze sei – aber ich glaube, sie hatte recht mit der Lorscher Straße. An jedem Bild merkte man, wie sehr diese Erinnerungen an Heppenheim ein ganz entscheidender Teil ihres Lebens bis ins hohe Alter geblieben sind.

Sehr dankbar bin ich für diese Begegnung mit Yael Pick, die trotz all ihrer Erinnerungen an die Verbrechen, die an ihrer eigenen Familie und an allen Jüdinnen und Juden in Deutschland und darüber hinaus begangenen worden sind, mir gegenüber keine Bitterkeit erkennen lässt.

Ich weiß um die Opfer, die der Holocaust auch ihrer Familie zufügte. Ich weiß um die Erinnerungen, die sie an die Jahre der Naziherrschaft hat, an die Ausgrenzung in der Schule, an das Ausgeschlossenwerden von allen gesellschaftlichen Gruppen. Ich weiß, dass ihr ein Teil ihrer Kindheit und Jugend gestohlen worden ist.

Dass Yael Pick mir dennoch mit ihrer Fröhlichkeit und mit ihrem Charme, mit ihrer Energie und mit ihrer positiven Lebenseinstellung begegnete – dafür bin ich ihr sehr dankbar.

Aber ich weiß auch dass diese Begegnung Verpflichtung ist, mich immer wieder neu gegen Rassenhass und Antisemitismus zu stellen. Wie wichtig sind solche Zeugen der Zeit in unserer Gegenwart, in der das Gespenst des Rassismus sich wieder breit macht und manche meinen, die Geschichte unseres Volkes wieder umschreiben zu können.

—Ulrich Schwemer

  

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